von Kety Quadrino
Ein wolkenloser Himmel umspannt die Frauenkooperative Ajdiggue im marokkanischen Tidzi, einem kleinen Flecken, 23 Kilometer vom Urlaubsort Essaouira entfernt. Nur ein leises Klappern ist aus den Räumen des schachtelförmigen Hauses zu hören. Sechzig Berberfrauen sitzen auf bunten Teppichen, in den Händen einen ovalen Stein. In mühsamer Arbeit schlagen sie die harten Nüsse der Arganfrucht zwischen zwei Steinen auf und holen eine weiß-gelbe Mandel, etwa so groß wie ein Sonnenblumenkern, heraus. „Ein Geschenk Allahs“, sagen die Frauen.
Die Mandel schmeckt bitter. Doch einmal geröstet und gepresst gewinnt man aus ihr ein safrangelbes Öl mit leicht nussigem Geschmack. Das flüssige Gold riecht nach roter marokkanischer Erde und Mandeln. Gourmetköche verfeinern mit Arganöl Couscous, Fisch und Salate. Die Berber schwören auf seine heilende Wirkung, verwenden es seit Generationen als Haut-, Haar- und Wundpflegemittel sowie bei Rheumatismus und Arteriosklerose.
Arganöl wird aus den Früchten des Arganbaums gewonnen, besser gesagt, aus deren Nüssen. Und Südmarokko ist die einzige Gegend weltweit, wo man den Arganbaum auf einer Fläche von 800.000 Hektar noch antreffen kann. Der immergrüne, dornenbewehrte Baum, dessen Äste sich bis auf den Boden neigen, kann Trockenheit und Temperaturen bis über 50 Grad überstehen. Während der Haupterntezeit zwischen Juli und September sammeln die Familien die reifen Früchte und trocknen sie in der Sonne. Das Fruchtfleisch wird entfernt, die extrem harte Nuss mit zwei bis drei Kernen aufgeschlagen. Das hochwertige Öl enthält mehr als 80 Prozent ungesättigte Fettsäuren.
200 Euro im Monat verdient die 40-jährige Fadma in der Frauenkooperative. Sie wird nach Kilo aufgeschlagener Nüsse bezahlt. Einen ganzen Tag brauchen die Berberfrauen, um 38 Kilo Nüsse aufzuschlagen und einen Liter Öl zu gewinnen. Ein Aufwand, der seinen Preis hat: Ein Liter Arganöl kostet rund 40 Euro. Die Frauen sind mit 50 Prozent direkt am Gewinn beteiligt. Im Gegensatz zu früher, als es noch keine Kooperativen gab und die Männer das Geld eingesteckt haben. „Ich musste immer meinen Mann um Geld anbetteln“, erzählt Fadma. Jetzt könne sie mit dem Geld machen, was sie wolle. Zum Arzt gehen, in die Aussteuer stecken oder in die Schule der Kinder investieren.
Mittlerweile ist das Arganöl auch über die Grenzen Marokkos hinaus bekannt. Die Kosmetikindustrie verwendet es für Seifen, Schönheitscremes, Haarpflege und Massageöl. Kaum ein Luxushotel in Marokko, das in seinen Wellnessoasen nicht mit einer heilsamen Arganöl-Massage wirbt. Auch in den traditionellen Hammams wie dem Lalla Mira, dem ältesten Bad der Küstenstadt Essaouira, wird man zuerst geschrubbt und dann von Kopf bis Fuß mit Arganöl eingeschmiert. Glitschig wie ein Fisch lauscht man den Rufen des Muezzins draußen, bis die Haut das Öl aufgesogen hat und sich glatt und samtweich anfühlt.
Doch private Ölmühlen bringen immer mehr industriell gepresstes Arganöl zu günstigeren Preisen auf den Markt. Zubida Charrouf, Professorin für Chemie an der Universität in Rabat, gründete deshalb eine eigene Vermarktungsgesellschaft. Sechs Frauenkooperativen zur Arganölherstellung und weitere sechzig, die sich allein um die Zerschlagung der Nüsse kümmern, gehören dazu. Die Gesellschaft sichert die Qualität und die Bio-Zertifizierung und kümmert sich um den Export. Besonders stolz sind die Frauenkooperativen auf das 2001 verliehene Slow-Food-Siegel.
Für Zubida Charrouf sind die Kooperativen der erfolgreiche Versuch, das marokkanische Kulturgut Argan und ihre traditionelle Herstellung vor dem Aussterben zu retten. „Hier erhalten Frauen und Mädchen die Möglichkeit, ihr traditionelles Handwerk zu professionalisieren, eigenes Geld zu verdienen und sich durch Kurse fortzubilden“, sagt auch Zahra Knab, die Geschäftsführerin der Frauenkooperative Ajdiggue. Sie lernen Lesen, Schreiben und Rechnen, besuchen Näh- und Handwerkskurse. „Die Frauen verändern sich, wenn sie hier sind“, erzählt Knab, „sie werden selbstbewusster.“
Die Frauen sind es, die ihre Familien im armen Hinterland des marokkanischen Südwestens ernähren. Gern gesehen wird das nicht, denn die Männer haben Angst vor ihren selbstbewussteren Frauen. Doch inzwischen ernähren sie mit ihrer Arbeit bis zu zwei Millionen Menschen. „Was bleibt uns auch anderes übrig“, sagt die Berberin Fadma. Ihre Männer seien arbeitslos oder in die Großstädte ausgewandert. Die Frauen müssten sich um alles kümmern – Haushalt, Kinder, Einkommen. Die arbeitslosen Männer sieht man am staubigen Straßenrand unter einem Baum sitzen. Oder sie stehen in den unzähligen Bars, die sich entlang der Landstraße zwischen den Badeorten Agadir und Essaouira durch winzige Dörfer ziehen. Vielleicht werden sie eines Tages von jenem ambitionierten Projekt profitieren, mit dem die Regierung bis 2010 rund zehn Millionen Touristen an die Küsten Marokkos locken will. Zur Entwicklung der Region lässt König Mohammed VI mit dem „Plan Azur“ derzeit riesige Anlagen mit Luxusresorts, Golfplätzen und Villen aus dem Boden stampfen, die 160.000 Betten und 600 000 neue Arbeitsplätze schaffen sollen. Eine davon entsteht unweit von Agadir bei Taghazout, eine andere nahe Essaouira in Mogador. Doch ob diese gigantischen Projekte auch der Bevölkerung Geld bringen, ist fraglich: Schlendert man an den kilometerlangen Sandstränden entlang, trifft man dort vorwiegend auf ausländische Luxus-Hotelketten.
Für die Frauenkooperativen ist der Erhalt der Arganbäume viel mehr als nur ein Beitrag zur Armutsminderung. Es ist auch der Kampf gegen die drohende Desertifikation Marokkos. Die Arganbäume sind der letzte grüne Vorhang vor der Wüste. Seit Jahren aber geht der Bestand der Wälder zurück. Die Bewohner der Arganeraie holzen die Arganbäume ab, für Brennholz, Bauland oder um den profitableren großflächigen Anbau von Tomaten oder Bananen zu betreiben. Immerhin haben die Frauen erreicht, dass vor zehn Jahren die Unesco die verbliebene Arganeraie zum Biosphärenreservat erklärt hat. Seitdem unterstützt der marokkanische Staat die Neupflanzungen. Auf die Frage, wieso es denn eigentlich keine Männerkooperativen zur Arganölherstellung gibt, brechen die Berberfrauen der Kooperative Ajdiggue in lautes Gelächter aus, lachen, bis sie Tränen in den Augen haben.
Beitrag: Stuttgarter Zeitung, 14. Dezember 2009